Donnerstag, 15. September 2011

Phantom Pain



Ich weiß, wie du dich fühlst
Weil unsere Gefühle für eine Weile symbiotisch waren
Ich weiß, was du denkst
Weil unsere Gedanken frei und grenzenlos eins waren
Wenn du blutest, blute ich und vice versa
Das war der Deal
Noch immer sehe ich durch deine Maske direkt in dein Herz
Deshalb weiß ich, dass du leidest, jetzt und hier
Auch wenn sich unsere Wege getrennt haben
Spüre ich deine offenen Wunden wie pulsierende Narben
Phantomschmerz
Ich bin das Phantom
Habe mich dir amputiert
Und glaube mir, es tut mir leid
Aber, Geliebte, ich musste dich verlassen
Es gab keine andere Möglichkeit
Ich musste mich selbst schützen
Und somit, wie ich hoffte, auch die Hälfte von dir
Du denkst es war, weil ich dich nicht liebte
Oh nein, es war, weil ich dich zu sehr liebte
Es zerriss mich, dich fallen zu sehen
Und so eng wir wir verknüpft waren, zwei Hälften eines Ganzen
Blieb mir nur, endgültig zu gehen
Oder mit dir in Finsternis zu versinken
Gott weiß, ich gab alles, dich zu retten
Reichte dir meine Hand
Du zogst mich mit dir in die Tiefe
Beinahe hätte ich nicht mehr zurück gefunden
Doch, Geliebte, lass mich dir sagen
Es wird immer heller
Ich habe dir einen Pfad gelegt
Willst du ihm folgen, werde ich auf dich warten.




Donnerstag, 8. September 2011

SHOCK



Ich war gerade noch in der Lage, den Schlüssel zu drehen und meine Tür von innen zu verschließen, bevor meine Hände so stark zitterten, dass ich sie nicht mehr beherrschen konnte.
Ich stützte mich mit einer Hand an der nun sicher verschlossenen Tür ab und presste die andere auf meinen Magen, der gerade begann, gänzlich zu revoltieren.
Nun, da ich in Sicherheit und alles vorbei war, schlug der Schock mit voller Wucht auf mich nieder.
Mir würde übel, mein ganzer Körper erbebte und mein Herz raste.
Ich hyperventilierte so sehr, dass mir ganz leicht im Kopf wurde.
Komm schon, reiß dich zusammen, es war doch wirklich keine große Sache.
Was war eigentlich gerade passiert?
Ich hatte sie schreien hören, als ich die Treppen zu meiner Wohnung hochstieg.
Ich hatte sie schon öfter schreien hören, seitdem sie vor einigen Wochen hier eingezogen waren.
Eine andere Kultur, eine extrovertiertere Mentalität, hatte ich mir immer gesagt.
Aber sie hatte noch nie SO geschrien, wie heute Nacht.
Das klang wie pure Todesangst, ein absoluter, lauter, ungehaltener Schrei, aus voller Kehle.
Dann eine drängende Bassstimme, leiser, bedrohlich, und noch ein schriller Schrei.
Ich umklammerte das Treppengeländer und blieb wie angewurzelt stehen.
Ich lauschte. Mein Herzschlag beschleunigte sich.
Was sollte ich tun? Ich konnte doch nicht einfach mitten in der Nacht bei meinen Nachbarn klingeln.
Und sie dann vielleicht auch noch mit bodenlosen Unterstellungen gegen mich aufbringen.
Ich würde warten, ob sie noch einmal schrie.
Ob es wirklich so ins Mark ging, wie mir das gerade vorgekommen war.
Und dann würde ich einschreiten, da war ich mir sicher.
Denn ich wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass wieder eine Geschichte in den Medien landete, wo es hieß: "Wieso hat niemand etwas getan? Das muss doch jemand mitbekommen haben."
Diese Frau würde nicht zu einer Statistik werden.
Ich machte ihr Schicksal zu meiner persönlichen Angelegenheit.
Ich wartete und lauschte, mein Herz schlug so hart und laut, dass ich mir einbildete, es müsste das ganze Haus wecken.
Ein Poltern und erneut ein Schrei, noch lauter und blutgefrierender als die letzten.
Okay, tief einatmen, Zivilcourage, du schaffst das.
Ich ging zur Tür, lauschte noch einmal und klopfte dann an.
Stille, ein Rascheln.
Dann eine zitternde Frauenstimme: Ja?
Ist alles okay?
Noch schwächer: ja
Sicher?
ja.
Die Tür öffnete sich, mein Herz drohte durch meine Brust zu bersten, aber ich bemerkte es kaum, betäubt vom Adrenalin.
Ein Mann sah mich durch den kleinstmöglichen Spalt an.
Ich sah ihm direkt in die Augen.
Sonst rufe ich die Polizei
Ja, alles okay.
Na gut, gute Nacht.
Ich sah ihm erneut lange und intensiv in die Augen, mit einer erkennbaren Warnung, wie ich hoffte.
Ich wandte mich ab, und wollte endlich nach Hause.
Doch ich konnte nicht.
Wieso war er an die Tür gegangen?
Wieso hatte er für sie geantwortet?
Ich musste sie sehen, musste sehen, dass es ihr gut ging.
Denn selbst, wenn das alles für heute war - wenn dies ein Fall häuslicher Gewalt war, würde ihre Verletzungen heilen und beim nächsten Mal hätte ich vielleicht keine Beweise mehr.
Ich machte kehrt, zurück zur schon wieder verschlossenen Tür.
Und verfluchte den Teil in mir, der sich immer sofort für das Wohl anderer verantwortlich fühlte.
Ich klingelte.
Keine Reaktion.
Mein Misstrauen wuchs.
Nach ewig erscheinenden 3 Minuten durch die Tür: Ja?
Es tut mir leid, ich muss Sie sehen. Ich muss die Frau sehen, sehen, dass es ihr gut geht.
Die Tür öffnete sich, beide standen im Schlafgewand vor mir.
Sie sah zerzaust und mitgenommen aus, aber ich konnte keine sichtbaren Verletzungen erkennen.
Sie bemühte sich, vergewissernd zu lächeln - ich kaufte es ihr nicht ab.
Er sah mich nervös an.
Wir waren alle drei verlegen.
Entschuldigen Sie, das ist wirklich nur nachbarschaftliche Fürsorge
Aber alles okay, entschuldigen sie nochmal, gute Nacht.
Ein gehauchtes danke von ihr.
Ich ging zu meiner Wohnung, schloss auf, schloss ab und der Schock setzte ein.
Keine große Sache.
Alles okay.
Tief einatmen.
Ich werde sie im Auge behalten.