Samstag, 23. Juli 2011

A Nightmare





Ich habe geträumt...
Ich fiel, tief, unaufhaltsam.
Mein Magen wurde durch die Schwerkraft nach oben gedrückt und fühlte sich an, als hätte er Löcher, durch die der eiskalte, scharfe Wind zog - bevor er durch meinen Rachen nach außen riss und dabei fast meine Innereien mit sich nahm.
Ich griff mit den Armen nach oben, suchte Halt, vergeblich.
Ich erkannte, von wo ich gefallen war.
Eine schwarze, glitzernd-nasse Plattform, auf der ein paar dunkle Gestalten saßen, die ungerührt ihren Beschäftigungen nachgingen.
Ich wusste das waren meine Freunde... oder eher: das waren sie gewesen. nicht mehr.
Der Himmel war veheißungsvoll grau, wie kurz vor einem Gewitter.

Dann war ich in einer Notaufnahme.
Alles war weiß, kalt und glänzend, aus Acryl... auch die Menschen.
Ich hatte wohl den Halt verloren und war noch auf der Plattform aufgeschlagen, bevor ich dann endgültig fiel.
Dabei hatte ich mir Haut, Muskeln und Fleisch von der oberen Halswirbelsäule gerissen.
Das war zumindest das, was ich aus den Gesprächsfetzen der Schwestern und Ärzte rekonstruieren konnte, in den kurzen Phasen, die ich bei Bewusstsein war.
In den kurzen Momenten, bevor mir der unvorstellbare, scharfe, stechende Schmerz so stark auf die Stirn drückte, dass meine Augen von der Last der Pain zugepresst und alles schwarz wurde.
Mein Rücken war offen, voller Blut und Fetzen und dadurch, dass ich nur noch das reine Skelett im Nacken hatte, konnte ich meinen Kopf nicht mehr bewegen.
Heiß, kalt, heiß, kalt, heiß, kalt...
Heißes Blut, das aus mir herausquoll und abkühlte... dann eine neue Welle heißen, dickflüssigen Lebenssaftes, die mich verließ.

Die Ärzte entschieden, dass ich wohl keine Überlebenschancen mehr hatte, und beschlossen deshalb, mich zu "eliminieren"
-  eine neue Methode der Sterbehilfe, in der unheilbar Kranke Menschen bei lebendigem Leib in ihre Einzelteile zerlegt wurden, in einer Art MRT-Scanner, der sich von Schicht zu Schicht vorarbeitete.
Ich konnte nichts sagen, mich nicht bewegen oder irgendwie bemerkbar machen.
Ich konnte nur alles über mich ergehen lassen und zusehen, zuhören, wie andere über mein Schicksal entschieden und mich Stück für Stück zu zerreissen planten.
Auch ich war weiß.
In ein blendend weißes Krankenhaus-Hemd gekleidet... und in Blut und Fetzen meiner Selbst.
weiß-rot. schwarz.
Die Maschine setze an meiner Wirbelsäule an - von da aus war es am leichtesten mich zu schälen, da durch meine tödlichen Verletzungen schon ein Zugang in mein Innerstes freigelegt war.
Der Schmerz war unvorstellbar, wie langsam, Millimeter für Millimeter das Fleisch von meinen Knochen gerissen wurde, bis zur Mitte meines Rückens.
Das war ein Schmerz wie tausend Schmerzen, wie Kratzen an einer Tafel und brechendes Glas und Salz in einer Wunde, wie ein Schiefer unter dem Fingernagel und ein zertrümmerter Fuß, auf dem man um sein Leben laufen muss.... das alles zusammen. Mal eine Milliarde.
Der Schmerz war so stark, ich bildete mir ein er hätte eine eigene Stimme.
Er schrie so laut, kreischend, hoch, unmenschlich, das selbst sein Klang allein Qualen zufügte.
Doch das war nicht der Schmerz.
Das war ich.
"STOP!!!!!"
Mit einer so verzweifelten, halbtot-gepainigten Stimme, dass ich sie nicht einmal selbst erkannte.
So unmenschlich, so grausam.

Der Vorgang wurde sofort abgebrochen.
Meine Überlebenschancen waren nun nicht einmal mehr gleich Null. Eher minus 10.
Ich lag auf dieser weißen Bare, konnte nur meine Augen bewegen und unverständliche Laute von mir geben.
Dennoch war ich erleichtert.
Einfach nur dadurch, dass dieser unerträgliche Schmerz nachhallte, was mir klarmachte, dass er (vorerst) in der Vergangenheit lag.
Jeder Welle übelkeiterrgender Qual gab mir Hoffnung, weil sie nur noch ein Echo waren. Und weil sie nach und nach schwächer wurden.
Ich wurde erst einmal in ein Zimmer gebracht.
Der Mann, den ich liebte, wurde zu mir gelassen.
Er trat ein und ich sah, dass auch er halbtot war.
Mein Anblick zerriss ihn.
Ich erkannte die Schwere meiner Verletzungen, die Hoffnungslosigkeit meiner Situation in seinen Augen.
Aber ich wollte doch Leben.
Jetzt erst recht, da er da war.

Es war a b s o l u t unmöglich.... aber das änderte nichts daran, dass ich versuchte, aufzustehen.
Meine Beine schienen auf einmal nur noch Knochen zu sein, die lose aufeinanderlagen, sie hingen mehr an meinem Rumpf, als dass sie mir Halt boten.
So wie bei diesen Gliedertieren auf den Holzpodesten, die in sich zusammenfielen, sobald man von unten Kraft ausübte.
Ich brach auf dem Boden zusammen und kroch weiter.
Drückte meine Handflächen auf den hellgrauen Linoleum-Boden und zog mich vorwärts.
Immer mit dem stechenden Schmerz meiner im Nacken freiliegenden Wirbelsäule und dem Gefühl, gegen die Kälte anzukämpfen, die sich in mir auszubreiten versuchte.
Die wie ein eiskalter, böswilliger Eisnebel durch meine Wunden in mich hineinzukriechen versuchte.
Ich musste in Bewegung bleiben, denn Stillstand bedeutete Tod.
Ich wusste, dass ich nicht aufgeben würde.
Und solange ich dass nicht tat, konnten sie mich nicht einfach eliminieren.
Wer kämpfte hatte das Recht, weiterzuleben - oder nicht?

Ich wusste, dass das Leben unglaublich lange nicht mehr dasselbe sein würde.
Womöglich nie.
Ich wusste, ich musste unwahrscheinlich aufpassen, weil mir jede zu ruckartige oder falsche Bewegung das Genick brechen würde.
Ich wusste, dass ich viel von ihm verlangte, und ihn um vieles beraubte... da das Zusammensein mit mir nie so unbeschwert und sorglos sein würde, wie mit einer anderen Frau.

Aber all das war nicht so stark, wie mein Wille, weiterzuleben.
Ich wusste, dass ich all das schaffen konnte.
Die Wunden würden langsam heilen, und hässliche Narben hinterlassen.
Aber sie würden mich in Zukunft nicht mehr beeinträchtigen.
Die Schmerzen würden von Tag zu Tag, mit vorauszusehenden Rückfällen, immer leichter werden.
Und eines Tages würde ich wieder erhobenen Hauptes und sicheren Schrittes gehen können.